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Kölner Karneval – Die hohe Kunst des Kontrollverlusts

  • Autorenbild: Jutta Baur
    Jutta Baur
  • 27. Feb.
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 28. Feb.

Karneval ist kein Fest. Karneval ist ein Ausnahmezustand mit Tradition. Eine Stadt, die sonst gerne betont, dass sie sich nicht zu ernst nimmt, wirft für sechs Tage endgültig alle Regeln über Bord. Und das auf eine Weise, die gleichzeitig völlig anarchisch und hochpräzise organisiert ist. Für ahnungslose Touristen mag es nach merkwürdigen Kostümen aussehen, nach Schunkelliedern klingen und kollektiven Besäufnissen anmuten. Aber was hier passiert, ist viel mehr als ein paar ausgelassene Tage in seltsamer Kleidung. Vor allem ist es etwas völlig anderes.



Der Kölner Karneval ist die hohe Kunst des gezielten Kontrollverlusts. Chaotisch nur auf den ersten Blick, doch stets nach unsichtbaren Spielregeln. Es geht um die Freiheit, für einen Moment nicht nur jemand anders zu sein, sondern vielleicht sogar ein kleines bisschen mehr man selbst. Wer sich einmal an Weiberfastnacht mitten auf dem Heumarkt wiedergefunden hat, in einer Menschenmenge, die sich aus Prinzessinnen, Gorillas und rot-weißen Jecken zusammensetzt, ahnt: Das hier ist kein gewöhnliches Fest. Es ist eine Zeit, in der Masken aufgesetzt werden, um die wahren Gesichter dahinter sichtbar zu machen.

 

Es gibt zwei Arten von Menschen: Die, die den Karneval verstehen und die, die denken, es ginge darum, sich in einem schnell gekauften Onesie-Kostüm auf offener Straße danebenzubenehmen. Köln hat für beide Platz. Aber machen wir uns nichts vor: Es gibt einen feinen, aber entscheidenden Unterschied zwischen „richtigem“ Karneval und dem, was man landläufig als Sauftourismus bezeichnet.



Der echte Kölner Karneval ist eine Kunstform. Er erfordert Hingabe, jahrelanges Training und ein feines Gespür für den richtigen Zeitpunkt, um „Drink doch ene met“ anzustimmen. Wer ihn beherrscht, weiß, dass es nicht nur ums Trinken geht, sondern ums gemeinsame Trinken. Das ist ein subtiler, doch gravierender Unterschied. Man feiert miteinander, nicht nebeneinander. Man singt, schunkelt, teilt sich notfalls ein letztes Kölsch mit einem wildfremden Clown, bevor man sich innig verabschiedet mit den Worten: „Wir sehen uns nie wieder, aber ich liebe dich!“


Dann gibt es die anderen. Die, die mit dem Zug anrollen, sich mit Dosenbier im Kreis drehen und „Kölle Alaaf“ in einer Lautstärke brüllen, die selbst die Tauben am Dom verstört. Sie glauben, Karneval sei eine Art biergetriebener Freiraum, in dem es darum geht, möglichst schnell jegliche Orientierung zu verlieren. Diese Menschen sind nicht böse. Sie wissen es nur nicht besser.


Doch Köln wäre nicht Köln, wenn es nicht selbst mit diesen Gästen fertig würde. Irgendwann kippt jeder zum richtigen Karneval über. Spätestens dann, wenn man mit einer Gruppe älterer Damen im exakt gleichen Marienkäferkostüm auf der Straße steht und feststellt: Es geht hier um Zugehörigkeit. Um Gemeinschaft. Und vielleicht ein kleines bisschen um Kölsch. Aber eben in dieser Reihenfolge.



Karneval als gelebte Philosophie


Vielleicht ist der Karneval auch eine Art kollektive Verweigerungshaltung. Gegen den grauen Winter, gegen die Ernsthaftigkeit des Alltags, gegen die Vorstellung, dass das Leben immer sinnvoll sein muss. Während andere sich durch das Jahr kämpfen, erlauben sich die Kölner, einmal im Jahr mit voller Überzeugung sinnfrei zu sein. Aber – und das ist entscheidend – gemeinsam.


Denn Karneval ist nicht individuell. Es gibt ihn nicht allein. Man kann Weihnachten einsam feiern, Silvester verschlafen. Karneval funktioniert nur als gelebte Gemeinschaft. Wer sich alleine im Clownskostüm durch die Stadt bewegt, wirkt seltsam. Wer es in einer Gruppe tut, erlebt eines der letzten großen Rituale der Zugehörigkeit. Vielleicht ist das der eigentliche Zauber: In einer Zeit, in der alles schneller, digitaler und isolierter wird, zwingt der Karneval die Menschen dazu, einander in die Augen zu schauen, sich an den Schultern zu fassen, sich für ein paar Tage nicht zu distanzieren, sondern zu verbinden.

 



Die ungeschriebenen Gesetze - auch für Immis


  1. Das Kostüm ist nicht nur Verkleidung, es ist Haltung.


    Wer als Katze geht, miaut. Wer als Pirat geht, sagt „Arrr!“. Wer im Schlafanzug erscheint … Respekt, dieser Mensch hat den tieferen Sinn des Karnevals verstanden. Köln duldet kein Jeck-Sein auf Sparflamme. Ein Cowboyhut ist kein Kostüm, sondern ein stilles Eingeständnis der Ideenlosigkeit. Wer sich verkleidet, trifft eine existentielle Entscheidung: eine neue Identität für eine begrenzte, aber ekstatische Zeit.


  2. Kölsch ist kein Getränk, sondern ein Sozialvertrag.


    Es wird nicht bestellt, es erscheint. Wer keins mag, trinkt trotzdem eins. Wer beim ersten Glas sagt, es schmecke nach nichts, trinkt spätestens das Dritte freiwillig. Hier geht es nicht ums Kölsch. Hier geht es um den Moment, das Lachen, den Takt, das selbstverständliche „Prost“ mit der fremden Person neben dir, die du nie zuvor gesehen hast und vermutlich nie wiedersehen wirst.


  3. Schunkeln ist eine Metapher für das Leben.


    Widerstand ist zwecklos. Wer sich gegen den Rhythmus stemmt, geht unter. Wer sich darauf einlässt, wird Teil eines größeren Ganzen. Und wer sich im richtigen Moment fallen lässt, merkt: In dieser Stadt fängt einen immer irgendwer auf.


  4. Keine Diskussionen über Karnevalsmusik.


    Wer ernsthaft über die künstlerische Tiefe von „Viva Colonia“ debattieren möchte, ist definitiv fehl am Platz. Es geht nicht um den Text. Es geht um das gemeinsame Atmen, das Schwingen auf derselben Frequenz. Karnevalslieder funktionieren nach einer uralten magischen Regel. Du hörst sie einmal. Du hast sie für immer im Kopf. Auch wenn du dich wehrst. Du kannst so tun, als wärst du überfordert, weil du den Text nicht kennst. Spätestens nach dem dritten Refrain singst du lauthals „Ejal, wat och passeet!


  5. Aschermittwoch ist kein Ende, sondern eine Wiedergeburt.

    Der Karneval endet nie wirklich. Aschermittwoch ist kein Absturz, sondern eine Katharsis. Während die Stadt langsam wieder in ihre gewohnte Gestalt zurückfällt, bleibt das leise Wissen, dass es möglich ist, aus dem Rahmen zu fallen, ohne verloren zu gehen. Dass Menschen zueinanderfinden, wenn sie sich für einen Moment nicht so wichtig nehmen. Und dass sich all das wiederholt, weil es das muss. Weil der Karneval nicht nur ein Fest ist, sondern eine tiefe, unerschütterliche Überzeugung.

 

Was bleibt, wenn die Musik verstummt?


Vielleicht ist das der eigentliche Zauber. Karneval ist der Beweis, dass die Welt für ein paar Tage anders sein kann, ohne auseinanderzufallen. Dass Chaos nicht Zerstörung bedeutet, sondern Nähe. Dass ein Mensch nicht allein sein kann, wenn um ihn herum andere Menschen sind, die die gleichen Lieder singen.

 

Und wenn du, während du zwischen buntem Konfetti und übriggebliebenen Kamellen durch die stiller werdenden Straßen gehst, plötzlich spürst, dass da eine Wärme bleibt, dann hast du ihn gefunden: Den tieferen Sinn hinter all dem Irrsinn.


Und dann weißt du: Das war nicht einfach nur Karneval. Das war eine Erleuchtung.


Herzlichst und Alaaf

Jutta

1 commento


Annegret Franzen
13 mar

Kölle alaaf 🤡

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